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Forschungsschwerpunkte

Aceh, Indonesien, Forschung
Isfahan, Iran, 2017

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kämpfen Frauen in der islamischen Welt für das Recht auf Bildung und Berufstätigkeit, für die Gleichberechtigung in Familie und in Öffentlichkeit. Besonders erbittert streiten sie gegen religiöse Normen, die ihre Unterordnung unter Väter, Ehemänner und andere mänlliche Verwandte festschreiben sowie gegen die sogenannte islamkonforme Bekleidung, zu dem auch der Schleier gehört. In vielen Ländern haben sie große Erfolge erzielt und waren teilweise sogar den westlichen Ländern voraus.

Der erstarkende Islamismus hat diese Entwicklung allerdings seit den 1980er Jahren erheblich zurückgeworfen. Frauen verloren ihre Rechte teilweise wieder und sehen sich erheblicher Gewalt ausgesetzt, wenn sie Freiheitsrechte für sich in Anspruch nehmen, die in westlichen Ländern selbstverständlich sind. Ein aktuelles Beispiel stellt der Iran dar, in dem es seit der Etablierung der Islamischen Republik immer wieder zu Protesten und Widerstandsaktionen kommt. Die jüngste Bewegung gegen das Regime steht unter der bezeichnenden Parole "Frauen, Leben, Freiheit".

Seit 20 Jahren forsche ich selbst oder leite und betreue ich Forschungsprojekte zu Frauenrechten und sexuellen Rechten in islamisch geprägten Ländern, darunter in Marokko, Tunesien, Ägypten, der Türkei, dem Iran, Syrien, Afghanistan, Pakistan, Thailand, Malaysia, Indonesien und den Philippinen.

Sonia Zayed, Rashid Ghannouchi, Susanne Schröter
In der Parteizentrale der Ennahda, Tunis 2013
Zeremonie einer sufistischen Gruupe in Deutschland
Zeremonie einer sufistischen Gruupe in Deutschland

Dieser Schwerpunkt ist eng mit dem Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam verbunde und nimmt sowohl progressiv-liberale bzw. spirituell-sufistische als auch islamistische Strömungen in den Blick. Beide sind Ausdruck einer komplexen Moderne, in der Europa die muslimische Expansion nach Westen beendete und begann, muslimische Regionen zu unterwerfen. Die Machtverhältnisse, die bis dahin durch die Dominanz muslimischer Reiche gekennzeichnet war, drehten sich nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches ins Gegenteil um. 

Für einige Muslime war die Entwicklung Europas ein Ansporn, ihre eigenen Gesellschaften zu modernisieren und dabei die religiösen Eliten, die sich selbst als Bollwerke der Tradition verstanden, zu entmachten. Beispiele sind die Türkei unter Atatürk, der Iran unter der Herrschaft der Pahlevis, die säkularisierten Staaten Ägypten, Tunesien und Syrien oder das dezidiert pluralistische Indonesien. Andere Muslime fürchteten jedoch genau diese Modernisierung, die sie als Abkehr vom Wege Gottes interpretierten. Für sie war der siegreiche Westen eine Folge der Abkehr der muslimischen Glaubensschwäche. Eine Heilung sahen sie in einer Rückkehr zu den Ursprüngen des Islam.

Bis zum heutigen Tag bestimmt der Gegensatz zwischen Islamismus und liberalem Islam das Leben der Muslime in aller Welt. Mit der Einwanderung von Muslimen wurde er auch in den Westen transportiert, wobei der Islamismus eine neue Blüte erlebt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Islamismus und fundamentalistischer Islam im Westen – als typisches Diaspora-Phänomen – in radikalerer Weise auftreten als außerhalb Europas.

Im Rahmen des Forschungsschwerpunktes wurden zwei Projekte zu aktuellen Entwicklungen im Iran realisiert, aber auch zu Tunesien, Afghanistan, dem Balkan, der Türkei und mehreren südostasiatischen Ländern.

Ich forsche seit vielen Jahren zu normativen Konflikten in pluralistischen Gesellschaften und habe ich mich u. a. mit ethnischen und religiösen Konflikten im globalen Süden und dabei vor allem in Südostasien befasst, die nicht selten gewalttätig ausgetragen wurden und sogar zu Bürgerkriegen mit zahlreichen Toten führten. Seit 10 Jahren stehen die europäischen Gesellschaften und besonders die Bundesrepublik Deutschlands im Fokus.

Kulturelle Vielfalt ist ein wesentliches  Merkmal moderner Gesellschaften, und sie fordert sowohl den einzelnen Menschen als auch die Politik und Zivilgesellschaft heraus. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Durch Flucht und Migration verschieben sich demographische Strukturen und erschüttern normative Gewissheiten. Lokale Bevölkerungen werden dazu genötigt, ihre eigenen Werte zu überdenken und die Grenzen des Akzeptierbaren auszuloten, Migranten mit der Zumutung konfrontiert, sich nicht nur räumlich, sondern auch sozial und kulturell neu zu orientieren. Hybridkulturen entstehen, ungewohnte soziale Bezugsrahmen und  Identitäten, die fluid und spielerisch, aber auch starr und repressiv sein können. In der Diaspora kann die kulturelle Verunsicherung so groß sein, dass Gemeinschaften sich jeglicher Veränderung entziehen und die Bewahrung von Normen einfordern, die in den jeweiligen Herkunftsregionen längst erodiert sind. Auch lokale Bevölkerungen sind durch rasante Diversifizierungsspiralen häufig überfordert und wünschen sich eine vermeintlich heile Vergangenheit zurück. Rechtspopulistische und nationalistische, aber auch fundamentalistische Bewegungen sind Ausdruck der emotionalen Überlastung. Doch es ist nicht allein die Pluralisierung durch Migration, die bewältigt werden muss. Moderne Gesellschaften verändern sich ebenso durch Wissen, die Globalisierung der Arbeit und den Einfluss verbesserter Kommunikationsstrukturen, dabei insbesondere durch die sozialen Medien, die neue Ideen, Trends und Lifestyle-Angebote in Echtzeit über den Globus verbreiten. Einen dritten Antrieb für Pluralisierungen stellen Freiheitsrechte für Frauen, Kinder und sexuelle Minderheiten dar, die in den letzten Jahren über internationale Organisationen im Top Down-Verfahren in den Nationalstaaten implementiert wurden. Sie kollidieren gleichermaßen mit vertrauten verwandtschaftlichen Hierarchien als auch mit überlieferten Wertbeständen und sorgen für einen rapiden sozialen Wandel, der mitunter Gegenreaktionen bei denjenigen hervorruft, die die patriarchalische Familie zur unabdingbaren Keimzelle von Staat und Nation stilisieren.

Kuala Lumpur, Malaysia, 2008
Bali, Indonesien, 2008
Singapur, 2007
Manila, Philippinen, 2010
Plaza Indonesia, Jakarta, Indonesien, 2008
Bangkok, Thailand, 2008
Südküste Java, Indonesien, 2005
Mit dem Prediger AA Gym in Bandung, Indonesien, 2008
Bireuen, Aceh, Indonesien, 2005
Seoul, Südkorea, 2009
Banda Aceh, Indonesien, 2011
Manila, Philippinen, 2013
Kampung Air, Brunei, 2013

Südostasien ist eine dynamische Region, die durch eine rasante Entwicklung und durch eine Vielzahl an Widersprüchen gekennzeichnet ist. In den Metropolen versinnbildlichen modernste Hochhauskulissen, Gated Communities und glitzernde Shopping Malls den ökonomischen Fortschritt und die Herausbildung einer finanzstarken Oberschicht, während ausgedehnte Slums darauf hinweisen, dass den Wenigen, die vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren, Viele gegenüberstehen, die von ihm ausgeschlossen sind. Den expandierenden Städten stehen ländliche Regionen gegenüber, in denen die Menschen ohnehin vorwiegend Selbstversorger sind.

Südostasiatische Gesellschaften sind multikulturelle, multiethnische und multireligiöse Gesellschaften, und man hält sie gemeinhin für besonders tolerant. Das lässt vergessen, dass es eine Vielzahl an Konfliktherden gibt, dass Kämpfe um wirtschaftliche und politische Ressourcen nicht selten ethnisch oder religiös „aufgeladen“ werden. Seit Ende des 20. Jh. entwickeln sich südostasiatische Gesellschaften sich von semisäkularen zu religiös dominierten Gesellschaften, und die Grundlagen der teilweise in den Verfassungen verankerten Pluralismen werden durch transnationale religiöse Bewegungen gefährdet.
Forschungen in diesem Schwerpunkt werden sowohl in urbanen Zentren als auch in ländlichen Peripherien bei ethnischen Minderheiten in Indonesien, Malaysia, Thailand und auf den Philippinen durchgeführt.

Von 1994 bis 2004 habe ich eine ethnologische Langzeitforschung mit mehreren Forschungsaufenthalten bei den Ngada im Hochland der indonesischen Insel Flores durchgeführt. Die Ngada bewohnen eine gebirgige und in weiten Teilen schwer zugängliche Region in Zentralflores, die, abgesehen vom Küstenstreifen, für indonesische Verhältnisse kühl und regenreich ist. Sie sind Subsistenzbauern und kultivieren Mais, Bohnen, Süsskartoffeln, Yams und vereinzelt auch Bergreis als Grundnahrungsmittel sowie verschiedene Gemüse, Gewürze und Fruchtbäume. Kleine Überschüsse werden auf Regionalmärkten verkauft oder gegen Waren, die an der Küste produziert werden, eingetauscht. Der Bedarf an tierischem Protein wird durch Fisch und diverse Nutztiere wie Hunde, Hühner, Ziegen, Schweine, Pferde und Wasserbüffel gedeckt. Fleisch wird grundsätzlich nur zu außergewöhnlichen Anlässen verzehrt, Schweine und Wasserbüffel ausschließlich im rituellen Kontext.

hre politische Organisation basiert auf einer Zuordnung zu Klanen (Woé) und Häusern (Sa’o), deren Zugehörigkeit in der mütterlichen Linie vererbt wird. Die Klanahnen werden in Gestalt von Miniaturhütten, als Symbole für die weiblichen Ahnen, und anthropomorpher Pfähle, Symbole der männlichen Vorfahren, verehrt, die Ahnen des Hauses befinden sich in nicht sichtbarer Gestalt auf diversen sakralen Gegenständen im Inneren der Küche, die gleichzeitig ein wichtiger Ort ritueller Handlungen darstellt. Andere heilige Plätze, die mit den Vorfahren in Verbindung stehen, befinden sich bei Gräbern, auf Feldern und in Palmenhainen.

Obgleich die Ngada sich heute ausnahmslos als Katholiken definieren, ist der Glaube an die Macht der Ahnen lebendig und selbst dem Frömmsten käme es nicht in den Sinn, seine diesbezüglichen Verpflichtungen zu vernachlässigen. Unglück, Krankheit und, im schlimmsten Falle, der Tod eines oder mehrerer Familienmitglieder wären die Folge, so glaubt man, denn die Verstorbenen sind rachsüchtig und überlassen ihre Nachkommen bei Fehlverhalten umherschweifenden bösen Geistern. Die Anlässe zeremonieller Ahnenpflege sind vielfältig. Sie reichen von persönlichen Anliegen bis zu großen rituellen Komplexen, die einen festen Platz im agrarischen Jahreszyklus einnehmen. Den Höhepunkt dieses Kreislaufes stellt eine Reihe religiöser Festlichkeiten dar, die kurz nach dem Einsetzen der Regenzeit durchgeführt werden.

In den ersten Jahren wurde ich von meinen Kindern und meinem Partner begleitet. Während eines 14-monatigen Aufenthalts und mehrere kürzerer Reisen lebten wir im kleinen Dorf Bowaru in einer bäuerlichen Familie und nahmen am alltäglichen Leben der Bevölkerung teil. Diese "teilnehmende Beobachtung" ist die wichtigste Forschungsmethode der Ethnologie. Sie macht es möglich, die Welt aus den Augen der Anderen zu sehen und dadurch zu einem tiefen Verständnis der Gemeinschaft zu kommen, die erforscht werden soll.

Die Ngada haben eine matrilineare Sozialstruktur, bei der die Verwandtschaftzuordnung und das Erbrecht durch die mütterliche Linie bestimmt werden. Frauen sichert dies eine deutlich bessere Position als denjenigen Nachbargruppen, die patrilinear organisiert sind. Dennoch kann von einem Matriarchat im Sinne romantisch-feministischer Vorstellungen keine Rede sein.

Die Menschen leben von der Landwirtschaft, die mit einfachen Mitteln durchgeführt wird. Im klassischen Sinn sind sie sehr arm, doch sei beharren auf ihrem eigenen Lebensstil, der ihnen viele Freiheiten gibt. Als sie erfuhren, dass man in Deutschland Miete bezahlen und einer regelmäßigen Arbeit mit festen Arbeitszeiten nachgehen muss, fanden sie das so schrecklich, dass sie versuchten, mich zu einer dauerhaften Ansiedlung in Flores zu überzeugen.

Priesterweihe, Flores, Indonesien, 2001
Priesterweihe, Flores, Indonesien, 2001
Vorbereitung eines Festes, Flores, Indonesien, 1998
Beschwören der Geister bei den Ngada auf Flores, Indonesien, 1996
Vertreiben der Geister bei den Ngada auf Flores, Indonesien, 1996

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