Die Taliban kämpfen für eine gottgewollte Ordnung
Ich verstehe die Abscheu gegenüber der Militanz der Taliban und den Wunsch, ein friedfertiges, tolerantes Islamverständnis davon abzugrenzen. Doch den Namen der Religion, auf die Taliban sich berufen, zu vermeiden, ist Unsinn. Ihr Denken fußt nunmal auf dem politischen Islam, wie er sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte – als Antwort auf den europäischen Kolonialismus, aber auch auf die schwindende Stärke der islamischen Welt. Der langsame Zusammenbruch des Osmanischen Reiches ließ den Westen als neue Supermacht dastehen und erzeugte ein theologisches Problem: Warum hat Gott das zugelassen, wenn er doch auf der Seiten der Muslime steht? Die Antwort lautete wie stets, wenn Theologen diese Frage stellen: Nicht Gott war schuld, sondern die Gläubigen – weil sie vom wahren Weg des Glaubens abwichen. Das ist die Gründungslegende des modernen Islamismus, also auch der Deobandi-Schule, der sich von drei Hauptfeinden bedroht sieht: erstens von der Säkularisierung, zu der das wissenschaftliche Denken ebenso gehört wie die Idee, dass moderne Staaten demokratische Staaten sein sollten. Zweitens alle offenen, spirituellen Formen des Islams, insbesondere der Sufismus. Als Heilmittel dagegen propagieren die Taliban eine Unterwerfung unter die Gebote Gottes, wie sie in der Frühzeit des Islams angeblich Standard gewesen sei.