FeMale. Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern
Wie definieren wir Menschen, deren Identität oder soziale Rolle nicht ihrem biologischen Geschlecht entspricht? Weibliche Ehemänner in Afrika zum Beispiel, die so viele junge Frauen heiraten können, wie ihr Wohlstand zulässt, oder die “geschworenen Jungfrauen“ in Albanien, die als kettenrauchende Patriarchen über ihre Familien herrschten und ihre Männlichkeit bei blutigen Fehden unter Beweis stellten?
Wie bezeichnet man Personen, die ihren Körper so weit manipulieren, daß sie sich optisch dem entgegengesetzten Geschlecht annähern, wie die brasilianischen travestis, die sich mit Hilfe von Hormonen und Silikon einen perfekten weiblichen Körper schmieden, aber niemals eine Entfernung der männlichen Genitale in Erwägung ziehen würden? Welches Geschlecht besitzen Menschen, die sich als im falschen Körper geboren wähnen?
Aus aktuellem Anlass habe ich eine Monographie in diese Reihe aufgenommen, die ich 2002 publiziert habe. Damals fing alles an: die Forschungen zum „dritten Geschlecht“, die stets von der Hoffnung getragen wurden, man entdecke außerhalb Europas eine Welt, in der die Gesetze der Binarität außer Kraft gesetzt und eine andere Freiheit möglich sei. Die Identitätspolitik, die damals noch in überschaubaren Subkulturen kultiviert wurde, heute jedoch überraschenderweise in den Mainstream vorgerückt sind. Und natürlich auch die als Theorie bezeichnete Vorstellung, Geschlecht sei eine soziale Konstruktion.
Meine eigenen Forschungen ergaben ein wenig erbauliches Bild. Die Herausbildung dritter und vierter Geschlechter war in nichtwestlichen Gesellschaften häufig allein dem Umstand außerordentlich rigider Genderstereotype und einer ausgeprägten Homophobie geschuldet. Kinder, die sich für Tätigkeiten begeisterten, die dem gegenteiligen Geschlecht vorbehalten waren, wurden zum Geschlechtswechsel genötigt und das Gleiche geschah mit Homosexuellen.
Bibliographische Angaben
FeMale. Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Frankfurt: Fischer. 2002